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Altar-Triptychon der Viðimırarkirkja

Rund um Tröllaskagi (5. Tag): Viel Sonne, viel »Kui'tuä«

Routenverlauf
Straßen: 1 - 75 - 76 - (784) - 82 - 1
Stationen: (Varmahlið -) Viðimıri - Glaumbær - Sauðarkrókur - Hegranes - Hólar - Gröf - Hofsós - Miklavatn - Sauðanes - Siglufjörður - Lágheiði - Ólafsfjörður - Dalvík (- Varmahlið)
Gesamtkilometer: ca. 360
Straßenzustand: Überwiegend Asphalt. Hochlandquerung über die Lágheiði Schotter.

 


Wir gewöhnen uns langsam an die Zeitverschiebung. Heute wache ich erst um halb acht auf. R hantiert schon im Bad. Das Frühstück im Hotel Varmahlið gleicht dem von Laugarvatn. Nur der frische Obstsalat fehlt. Wir langen ausgiebig zu. Für den heutigen Tag haben wir uns eine Fjordrunde rund um die Halbinsel Tröllaskagi mit einigen Kultur-Stopps vorgenommen. Zuerst aber noch ein kurzer Abstecher nach Südwesten, zur Torfkirche von Viðimıri.

Viðimırarkirkja

Das Kirchlein liegt nur wenige Meter abseits der Ringstraße. Am Eingang empfängt uns ein junger Mann mit Krücken, der als Fremdenführer aushilft. In makellosem Englisch beantwortet er geduldig all unsere Fragen.

An dieser Stelle stand bereits im 12. Jahrhundert eine Kirche. An der Wende zum 13. Jahrhundert war Guðmundur Árason, der spätere Bischof von Hólar, Pfarrer an der Viðimırarkirkja. In ihrer heutigen Form stammt die kleine Torfkirche von Viðimıri aber ursprünglich aus dem Jahr 1834 (und ist somit eines der ältesten erhaltenen Gebäude Islands überhaupt). Ihr Baumeister war der Zimmermann und Bauer Jón Samsonarson aus dem Keldudalur, der auch dem isländischen Parlament angehörte. Kirchen dieser Art, mit einem Ständerunterbau aus Holz (meist Treibholz), verbretterten Giebelseiten, torfgedecktem Dach und dämmenden Seitenwänden aus dicken Torflagen, waren in Island bis ins 19. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Sechs dieser Kirchen alten Typs sind erhalten, drei davon sind bis heute Pfarrkirchen.

Das kleine, 1936 (beim Übergang in den Besitz des Isländischen Nationalmuseums) komplett restaurierte und seither auch unter Denkmalschutz stehende Kirchlein gilt als eines der ältesten, schönsten und besterhaltenen Beispiele historischer Kirchenarchitektur in Island. Für die Holzkonstruktion und den Innenausbau wurde bei der Restaurierung das Original-(Treib)Holz verwendet. Nur die Giebelbretter sind neu. Auch der Torf ist komplett neu aufgeschichtet worden. In der Kirche finden nach wie vor Gottesdienste statt, gerne vor allem Hochzeiten.

Der eigentliche Altarraum und die geschlossenen Bankreihen der vornehmen Kirchgänger sind vom übrigen Kirchenraum durch eine Art Lettner abgetrennt. Die Sitzordnung war post-reformatorisch streng: Frauen saßen links, Männer rechts; Arme hatten ganz hinten Platz zu nehmen, nur Bedeutende (man wird auch schlicht sagen dürfen: Reiche) durften in den vorderen Reihen, ganz Reiche (u.a. auch die Frau des Pfarrers) sogar jenseits des Lettners in den geschlossenen Kirchenbänken oder unmittelbar im Altarraum ihr Gebet verrichten.

In der Kirche sind einige Kunstschätze aus älteren Zeiten erhalten, beispielsweise das (mutmaßlich dänische) Altarbild aus dem Jahr 1616 (oben). Im geöffneten Zustand rahmen Kreuzigung und Auferstehung die Darstellung des Letzten Abendmahles ein (die geschlossenen Seiten zeigen Moses mit den Gesetzestafeln und Johannes den Täufer). Die lateinische Inschrift ist dem 1. Korintherbrief entnommen: Quotienscumque comederitis panem hunc et de poculo hoc biberitis mortem Domini annuntiatis donec venerit (1 Cor 11,26: Denn so oft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt). Rechts die (für unsere heutigen Verhältnisse reichlich enge) Kanzel, auf die der Prediger nur von hinten her in halsbrecherischer Manier durch einen schmalen Durchlass im Lettner gelangt. Sie dürfte ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammen. Die Gemälde auf den Füllungen sind teilweise von den Jahrhunderten stark mitgenommen. Auf ihnen ist Christus flankiert von den vier Evangelisten abgebildet.

Der Museumshof Glaumbær

Von Viðimıri aus fahren wir wieder zurück nach Varmahlið und nehmen jetzt die Straße 75 nach Norden Richtung Sauðarkrókur. Ein paar Kilometer weiter liegt rechts der Museumshof Glaumbær. Man muss schon genau hinsehen, denn die Häuschen ducken sich tief unter ihren grasbewachsenen Torfdächern und früh am Tag ist noch wenig los auf dem Parkplatz. Die Farm bietet - auf ein knappes Dutzend eng aneinander gebauter Torfhäuschen verteilt - insgesamt 13 Räume; es handelt sich also um einen eher großen Hof und ganz nebenbei um einige der besterhaltenen Zeugnisse isländischer Bauhistorie. Die ältesten Gebäudeteile stammen aus dem beginnenden 19. Jahrhundert.

Wetter und Licht sind nicht gerade glänzend, aber es blitzt immer wieder einmal verheißungsvoll blau durch die Wolken. Der Hof existiert auf dem Gelände seit mehr als neunhundert Jahren, aber einzelne Gebäude sind in dieser langen Epoche mehrfach umgebaut oder an anderer Stelle neu aufgebaut worden. Eine Kirche gab es in Glaumbær schon im 11. Jahrhundert, aber die heutige Kirche, deren Turm man über die Torfdächer spitzen sieht, ist neueren Datums: sie wurde erst 1926 und dabei erstmalig an der Nordseite des Komplexes gebaut. Der Friedhof soll übrigens letzte Ruhestätte des ersten in Amerika geborenen Europäers sein: Snorri Þorfinnsson, 1003 [sic] als Sohn zweier nach Amerika übersiedelten Wikinger-Isländer geboren, kehrte mit seinen Eltern später nach Island zurück und soll hier begraben worden sein.

Die drangvolle Enge in den aneinander kauernden Hüttchen lässt sich in gebückter Haltung sehr unmittelbar erleben. Das Weitwinkel-Objektiv täuscht Weite vor, wo es eigentlich keine gibt. In den kleineren Häusern sind Werkstätten und Vorratsräume untergebracht, z.B. diese Schmiede (rechts). Anders als in der Kirche von Viðimıri sind die Wandungen hier nicht holzverkleidet. Die Torfschichtungen bleiben sichtbar. Im größten Gebäude finden sich Küche, Schlaf- und Wohnzimmer (einer der jüngsten Bauteile aus dem 18. Jahrhundert) sowie eine auch als Gemeinschaftsraum dienende Badestube. Zum Bau wurden neben Torf, Steinen und Holz (für Unterkonstruktion und Fassaden) angeblich auch Walknochen verwendet.

Neben dem eigentlichen Hof gehören noch zwei neuere Holz-Gebäude aus dem 19. Jahrhundert zum Museumsgelände: Die Gilsstofa (hier links im Bild), in der die Administration untergebracht ist, und das gelb gestrichene Áshús (rechts), in dem ein Café (das Áskaffi) auf durstige Touristen wartet. Beide sind Zeugnisse des isländisch-dänischen Baustils, der die frühere Torfbauweise ablöste und bis zum massenhaften Aufkommen der Wellblechverkleidungen bestimmend blieb für die ländliche Bauweise in Island. Beide Häuser stammen nicht von Glaumbær, sondern wurden von ihren ursprünglichen Standorten hierher gebracht. Das Áshús wurde in den späten 80er Jahren des 19. Jahrhunderts nicht weit entfernt in Ás in Hegranes am Ufer des östlichen Heraðsvötn erbaut. Die Gilsstofa ist dagegen weit gereist: Ursprünglich wurde sie 1849 in Espihóll am Eyjafjörður gebaut, schon 1861 aber ab- und am Skagafjörður wieder aufgebaut. Dort stand sie an verschiedenen Plätzen, bis sie im Museumsgelände von Glaumbær ihren siebten und womöglich letzten Standort fand.

Wir lassen uns jedenfalls nicht lange bitten und nehmen ein Tässchen Kaffee im Áshús. Dort begegnen wir auch erstmals dem Instrument Langspil, das (jedenfalls in dem abgebildeten Beispiel) mit drei von Wirbeln gestimmten Saiten ausgestattet ist (auch das Exemplar im Museum in Skogar, dem wir Tage später begegnen, verfügt über drei Saiten). Eine der Saiten dient als Melodiesaite; sie ist mit einem Griffbrett mit Bünden unterlegt. Die beiden anderen sind Bass- oder Bordunsaiten. Das erinnert entfernt an eine (Bordun-)Zither, doch kann das Instrument offenbar aber auch mit einem (Geigen-)Bogen gespielt werden. Die junge Frau, die uns bedient, weiß weder, wie man es spielt, noch wie es klingt. Aber in Zeiten des Internets kann man sich ja jederzeit behelfen. Das isländische Langspil ist entfernt mit dem norwegischen Langeleik und der schwedischen Hummel verwandt.

Sonnenstopp am Skagafjörður

Auf der Weiterfahrt wird das Wetter zusehends besser. Wieder stehen die Mahdrollen wie weiträumige Skulpturen am Straßenrand. Als wir bei Sauðarkrókur an den Skagafjörður kommen, brennt die Sonne. Keine Spur mehr vom Nebel des gestrigen Abends. Die Temperaturen erreichen erstmals die 20 °C-Marke. An einem Aussichtspunkt auf der Landzunge Hegranes sitzen und liegen wir eine ganze Weile in der Sonne und schauen hinaus aufs Meer und hinüber auf die kleine Stadt. Vor uns fließt das Vestari-Héraðsvötn träge unter der Brücke in den Fjord.

Die Zufahrtsstraße zu dem orangefarbenen Leuchtturm Landsendi, den wir in der Ferne an der Nordspitze von Hegranes erkennen können, finden wir leider nicht. Dafür ist ein paar Kilometer weiter in der Nähe des Hofes Garður ein Aussichtspunkt angezeigt. Wir biegen nach Süden ab und fahren den kurzen, steilen Berg hinauf.

An der Auffahrt streckt an einem Rinnsal entlang die Sumpf-Fetthenne ihre rosafarbenen Blüten in die wärmende Sonne. Im Talgrund blitzt vielarmig verzweigt das Austari-Heraðsvötn. Dahinter recken sich Hofstaðafjall und Blönduhliðarfjöll steil in die Höhe. Wir folgen der 75, bis sie jenseits des Austari-Heraðsvötn auf die 76 stößt, und nehmen die Route nach Norden.

Vergangener Glanz: Der Bischofssitz Hólar im Hjaltadalur

Nach fünf Kilometern zweigt die 767 in südöstlicher Richtung nach Hólar ab. Wir haben einiges gelesen über diesen alten Bischofssitz im Norden und wollen ihn deshalb nicht versäumen. Aber wir sind ein wenig enttäuscht. Das heutige Kirchlein lässt die Größe und Bedeutung des einstigen Domes, das winzige Dörfchen die wirtschaftliche Potenz der alten Bischofsstadt nurmehr erahnen. 700 Jahre lang, von seiner Gründung im Jahr 1106 bis zur Verlegung des Bischofssitzes im Jahr 1802 (wahlweise auch 1798 oder 1801 - da hat jede Quelle ihre eigenen Vorlieben), war Hólar neben Skálholt das wichtigste kulturelle und religiöse Zentrum Islands und der theologische Bezugspunkt für ganz Nordisland. Ein Viertel des Landes gehörte einst den Bischöfen von Hólar als Grundbesitz. Heute wohnen gerade noch 100 Menschen in Hólar. Zwischen 1861 und 1952 war Hólar noch nicht einmal eigenständige Pfarrei. Der heutige Dom aus dem Jahr 1763 ist die fünfte Domkirche (die siebte Kirche) an dieser Stelle. Sie misst gerade einmal 9 x 20 m. Der Turm wurde erst 1950 errichtet. Dass hier "das ganze Jahr über das Leben pulsiert", wie einer unserer Führer geradezu euphorisch verkündet, hat sich uns jedenfalls nicht mitgeteilt.

Hólar wurde 1106 von Jón Ögmundsson (mit dem Beinamen "der Heilige") als Bischofssitz geweiht. Im Mittelalter das zweitbedeutendste Zentrum der Wissenschaften in Island, hielt Hólar während der Reformationszeit unter Bischof Jón Árason (1524 bis 1550) am hartnäckigsten am Katholizismus fest. Árason wurde am 7. November 1550 in Skálholt zusammen mit seinen beiden Söhnen Bjarni und Ari von seinen Widersachern enthauptet; weil der Widerstand gegen die Reformation zugleich Widerstand gegen die dänischen Besatzer, also ein Kampf für die Unabhängigkeit Islands war, gilt Árason den mittlerweile längst fast ausnahmslos protestantischen Isländern auch heute noch als nationaler Held.

Die heutige Domkirche wurde in den Jahren 1757 bis 1763 von einem deutschen Baumeister namens Sabinsky aus dem roten Sandstein vom nahen 1200 m-Berg Hólabyrða errichtet (heute in weiten Teilen weiß übertüncht). Sie ist damit die älteste erhaltene Steinkirche Islands. Drinnen erwartet uns ein kundiger Theologiestudent, der uns weitaus gründlicher in die emblematische Bedeutung der auf dem Lettner abgebildeten sieben (Paulinischen) Kardinal-Tugenden einzuzuführen gedenkt als wir das eigentlich wünschen. Dennoch ist uns seine Hilfe äußerst willkommen.

Dieses Triptychon aus Alabaster (vermutlich um 1470, Nottingham) ist heute an der Südwand befestigt. Aus älteren Abbildungen, die uns der Student zeigt, geht jedoch hervor, dass es früher seinen Platz oberhalb des Durchgangs an dem Lettner hatte, der den Altarraum vom übrigen Kirchenraum trennt. Szenen aus dem Neuen Testament sind darauf eingerahmt von Johannes dem Täufer und der Heiligen Katharina.

Der geschnitzte und reich goldverzierte Flügelaltar aus Eiche und Kirschholz gilt als einmalig in ganz Island. Es ist um 1500 in Deutschland oder Holland entstanden und bald darauf (wahrscheinlich während der Amtszeit von Bischof Gottskálk grimmi Nikulásson, 1496 - 1520, jedenfalls noch vor dem Einzug der Reformation) nach Hólar gelangt. Nach anderen Quellen soll Jón Árason das Altarbild Hólar zum Geschenk gemacht haben. Auf der Innenseite zeigt es mittig die Kreuzigung Christi umrahmt von den Aposteln und verschiedenen Heiligen (darunter Katharina mit Rad und Schwert, Margareta von Antiochia mit dem zahmen Drachen, Barbara mit dem Turm, aber auch den Eremiten Antonius mit dem T-förmigen Kreuz und wiederum den Heiligen Sebastian). Der Theologiestudent lässt uns auch einen Blick auf die rechte Außenseite des Altars werfen. Dort sind das Martyrium des heiligen Sebastian und darüber die Heilige Lucia mit dem Schwert durch die Kehle in einer durchaus qualitätvollen Arbeit abgebildet.

Im University College gleich nebenan (einer Landwirtschaftsschule mit Schwerpunkt Pferdezucht, die am Ort der berühmten früheren Lateinschule steht, und der auch ein Hotel angegliedert ist), sehen wir uns zwar um, wissen aber nicht, was man uns mit den ausgestellten Pokalen eigentlich sagen will.

Eine nachgebaute Druckerwerkstatt erinnert daran, dass Bischof Guğbrandur Şorláksson (1571-1627) hier eine - ursprünglich noch von seinem katholischen Vorgänger Jón Árason 1530 installierte - Druckerwerkstatt betrieb, auf der im Jahre 1584 die erste Bibelausgabe in isländischer Sprache gedruckt worden ist, zu der der gelehrte Protestant nicht nur einen Teil der Übersetzung, sondern auch viele kunstvoll verzierte Initialen beigetragen hat. Ein Exemplar dieser sog. Guðbrandsbibel liegt auch in der Domkirche aus.

Rund um die Kirche sind Archäologen am Werk. Vielleicht kommt so ja eines Tages doch noch etwas mehr vom alten Glanz des Bischofssitzes zum Vorschein. Im Friedhof sind junge Leute dabei, den Rasen zu mähen und den Wildwuchs zurückzuschneiden. Wir werden diesen Säuberungstrupps noch sehr oft begegnen in Island. Ferienjobs?

Die Torfkirche von Gröf (Grafarkirkja)

Durch das weite Hjaltadalur fahren wir zurück zur Hauptstraße. Etwas weiter nördlich und gut versteckt im Wiesengrün (noch dazu nur durch ein Viehgatter zu erreichen, das man öffnen muss) liegt die Torfkirche von Gröf.

Hinter der Kirche weitet sich das Deildalur und gibt den Blick frei auf die schneebedeckten Berge des Tungufjall. Das winzige Kirchlein (6,25 x 3,20 m) stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und ähnelt mit seinem kleinen Glockenportal der Viðimırarkirkja, die wir am Morgen besucht haben. Ab 1765 wurde es fast 200 Jahre lang als Schuppen genutzt, 1953 aber erneut als Kirche geweiht.

Die Grafarkirkja vor dem knapp 800 m hohen Buckel des Ennishnjúkur. Die Giebel zeigen schöne florale Schnitzarbeiten.

Ein uralter, mit einer kaum jüngeren Kette gesicherter Schlüssel steckt in der Tür. Wir treten ein. Ein schöner Schrankaltar in ländlicher Anmutung. Dass die Kirche nicht nur klein, sondern auch sehr niedrig ist, prägt sich mir für den Rest des Tages ein. So lange schmerzt mein Kopf, den ich mir an einem Balken angeschlagen habe.

Hofsós

Nach Hofsós, dem alten Handelsposten, an dem die Straße 76 vorbeiführt, fahren wir auf der 784 hinein. Das Auswandererzentrum (auf Isländisch sehr viel vornehmer "Westfahrermuseum", Vesturfarasafnið, genannt), in dem Amerikaner und Kanadier nach ihren isländischen Vorfahren suchen können, hätten wir uns vielleicht angesehen, aber wie man dort hingelangt, haben wir trotz GPS (und obwohl wir es von verschiedenen Standpunkten aus immer wieder sehen können!) in dem Straßengewirr auf die Schnelle einfach nicht herausgefunden. Wie kann man sich nur so dumm anstellen ;-) Auf dem folgenden Bild ist es jedenfalls das beflaggte Gebäude ganz links.

Kunterbunte Häuser freuen uns. Islands Häuser sind im Allgemeinen farbenprächtig. Aber Hofsós ist mit Abstand das bunteste Städtchen, dem wir begegnen. Naja: "Städtchen" - Hofsós hat gerade mal 170 (nach anderen Quellen auch 370, ja sogar 400) Einwohner.

Neben den vielen Villen Kunterbunt stehen am Hafen allerdings auch einige ältere, tiefschwarz geteerte Bauten wie Licht saugende, negative Massen. Sie erinnern mich an den schwarzen Kubus, den Gregor Schneider 2007 nach allerlei feigen Absagen schlussendlich anlässlich einer Malewitsch-Retrospektive vor der Kunsthalle in Hamburg aufgestellt hat.

Es ist das Pakkhúsið, ein Blocklagerhaus, das 1777 von der dänischen Grönland-Compagnie hier erbaut, genauer gesagt: aus Dänemark hierher gebracht wurde (und somit eines der ältesten Holzgebäude in ganz Island). Vorübergehend war darin eine Ausstellung untergebracht. Heute stehen die Gebäude leer. Zugänglich sind sie nicht (wir hätten vermutlich auch gar nicht hingefunden ;-)

Zum Miklavatn und Richtung 66 ° Nord

Nun geht es erst einmal um die nordwestliche Landspitze von Tröllaskagi und um das Bakkafjall herum. Am Ende des Miklavatn, in dem die Bucht Fljótavík ausläuft, biegt die 76 scharf nach Norden ab - vor dem Panorama der schneebedeckten Berge von Siglufjarðarfjall und Ólafsfjarðarskarð.

Die Küstenstraße bietet spektakuläre Aussichten - und an der Nordspitze, in Sauðanes, einen grell orangefarbenen, nun endlich einfach zugänglichen Leuchtturm (eigentlich besser ein lighthouse), der in Zeiten der GPS-gestützten Seefahrt vollkommen überflüssig weithin in der Sonne strahlt. Wir stellen uns kurz vor, dass dort draußen, hinter dem weiten Blau, irgendwo Grönland liegen muss ...

Siglufjörður - Stadt des Herings

Die nördlichste Stadt Islands gefällt uns auf Anhieb. Wir finden einen Schotterweg hinauf zu einem Aussichtspunkt und schauen hinunter auf die Stadt am gleichnamigen Fjord.

Dann treiben wir uns eine ganze Weile im Zentrum der Stadt rund um das Heringsmuseum herum. Ich versuche gar nicht erst ernsthaft, R zu einem Besuch zu überreden.

Viel buntes und junges Leben ist in der Stadt. Überall werden Boote gestrichen, repariert, vorbereitet für die große Fahrt. Aber auch leere Läden, die davon zeugen, dass Siglufjörður in der Hochzeit des Heringsfangs gewiss noch weitaus bunteres Treiben gesehen hat. 1903 ging alles richtig los. Die Norweger nutzten den besten Hafen an der isländischen Nordküste zu ihren Beutezügen im Nordatlantik. Der Heringsrausch griff rasch um sich. 1911 gab es die erste Fischverarbeitungsfabrik. Der Fang war so üppig, dass bald weitere acht folgten. Hauptsächlich Frauen waren damit beschäftigt, die Heringe auszunehmen, zu salzen und in Fässer zu verpacken. 200.000 dieser Fässer gingen schon 1916 von Siglufjörður aus nach Europa und in die USA. 1918 erhielt die Gemeinde das Stadtrecht. Der Heringshandel wurde zur tragenden Säule der isländischen Wirtschaft. Ende der 1960er Jahre war dann plötzlich Schluss. Der jahrelange Raubbau rächte sich. Der Atlantik war zugrundegefischt. Die großen Schwärme blieben aus. In der Folge sank die Einwohnerzahl von einst einmal mehr als 3.000 auf heute nur noch rund 1.400.

Wir brotzeiten von den Resten unserer Vorräte und verabschieden uns von Siglufjörður.

Über die Lágheiði nach Ólafsfjörður und weiter zum Eyjafjörður

Wir beratschlagen kurz, ob wir quer durch die Berge über die 792 und Siglufjarðarskarð abkürzen sollen, entscheiden uns aber, die gleiche Route wie herwärts, also die 76 an der Küste entlang (und durch den kurzen Tunnel nördlich von Siglufjörður) zu nehmen. Am Südostufer des Miklavatn zweigen wir dann nach Süden auf die Straße 82 ab, das Fljótaá-Tal hinauf Richtung Lágheiði.

Hinter dem See Stifluvatn, den man östlich auf einfacher Schotterstrecke passiert, türmt in der Ferne der 1172 m hohe Gimbrarhnjúkur. R beschwert sich, dass die Berge hier so schweizerisch ausschauen. Sehr schön, geradezu alpin, geht es hinauf zur Passhöhe der Lágheiði auf 386 m, wo die Straße in einem langgezogenen Bogen nach Nordosten schwenkt.

Blick zurück auf die Lágheiði-Passhöhe mit dem Gimbrarhnjúkur zur Linken. Von hier aus geht es auf sanftem Gefälle hinunter Richtung Olafsfjörður am gleichnamigen Fjord, das wir allerdings links liegen lassen; es scheint uns den Charme von Siglufjörður nicht zu erreichen. Danach steigt die Straße noch einmal steil die Berge hinauf. Ein langer Tunnel durchsticht den Nordostzipfel von Tröllaskagi. Dann endlich ist der Blick frei auf den Eyjafjörður mit der Hrísey, der zweitgrößten Insel Islands.

Sonne und Wolken beschließen, den Tag mit festlichen Lichtspielen ausklingen zu lassen. Die Anfahrt nach Dalvík entlang dem Ufsaströnd gestaltet sich entsprechend "malerisch".

Kurz vor Dalvík (links im Bild): Der Blick reicht durch das Tal der Svarfaðardalsá weit bis zu den 1300 m-Riesen rund um den Tungnahryggsjökull im Herzen von Tröllaskagi.

Kurzer Stopp in Dalvík

In Dalvik halten wir kurz. Stadt und Hafen zeigen ausgesprochen nordisches Gepräge. "Walfängerstation" kommt mir unwillkürlich in den Sinn. Tatsächlich haben Fischfang und -verarbeitung die Geschichte der Kleinstadt mit ihren rund 1.500 Einwohnern seit Jahrhunderten geprägt. Es ist kurz vor 19 Uhr. Das Städtchen macht einen recht verschlafenen Eindruck.

Kaldbakur (1167 m) und Svínárhnjúkur thronen schneemützig hinter der Samskip-Fähre Sæfari, die an drei Tagen in der Woche zur Insel Grímsey hinüberfährt, dem nördlichsten Eiland, das zu Island gehört. Die Fahrt dauert einfach etwa drei Stunden. Fahrplan und Preise finden sich hier.

An einem Holzgerüst hängt Stockfisch zum Trocknen, die abgeschnittenen Köpfe sind separat martialisch an blauen Schnüren aufgehängt.

Jetzt aber nix wie heim

Wir haben Hunger. Aber noch eine ganze Strecke vor uns. Also geht's in einem Satz bis hinunter zur Ringstraße und auf ihr mit gleichförmig schnurrendem Diesel bei 2000 U/min und 100 km/h im 6. Gang über den Pass der Öxnadalsheiði zurück ins Hotel nach Varmahlið.

Und was gab's zu essen?

Salted Cod mit Tomaten und anschließend Schokokuchen für R. Breikja (arctic char, Seesaibling) mit geröstetem Gemüse, einem Schnitzelchen Kartoffelgratin und einem ganz herrlichen Selleriemus, anschließend Rhabarbari (also Rhabarberkuchen, der in einem Porzellangefäß überbacken ist) für mich.

Bei hellem Sonnenlicht versuchen wir um halb zwölf einzuschlafen.


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